Bastl und Leo, in Hannover scheint die Sonne
Freitag
Wir sind gerade losgefahren. Mich überkommt so ein Gefühl: Freude, Aufregung, Ungeduld. Endlich wieder aufs Board steigen, endlich wieder den Wind im Gesicht spüren, die Freiheit fast greifbar vor mir zu haben, darauf habe ich den ganzen Winter gewartet. Ich habe Leo aus Hannover und Bastl aus Würzburg mit. Die Fahrt fliegt an uns vorbei. Wild diskutieren wir über Decks, Styles und den Stellenwert von Longboards in Deutschland und der Welt. Nichts ist vor unseren Spekulationen sicher. Hier und da rauche ich eine Kippe während Johnny Cash meinen Bus beschallt. Unser erstes Ziel: Neu-Köln. Hier treffen wir Waldi, der uns mit drei kalten Bieren begrüßt. Endlich kann ich auch was Trinken. Waldi ist Bastls Kollege, den ich heute kennen lerne. Waldi hat die Schlafplätze schon vorbereitet, aber ans Schlafen denkt hier keiner. Die Zeit drängt. Fränky bestätigt übers Handy: „Um 19:45 geht´s vom Alexander Platz los". Also schwupps auf die Boards, in die Bahn, umsteigen, neues Bier aufmachen bis wir schließlich just in Zeit ankommen. Mein Herz geht auf. Circa 50 Longboarder warten gespannt am Alexander Platz. Ich kenne niemanden, aber das ändert sich schnell. Gunnar und Nico kennen den Bastl, also stoßen wir an. Ich mit Herri importiert aus Hannover, sie mit einem Berliner Kindl. Anspannung liegt in der Luft, wann geht's los? Viele haben kurze Hosen an, manche schleppen dicke Rucksäcke mit sich rum, andere haben nichts als ihr Board unter den Füßen. Loaded, Lush, Arbor, Sector 9, Fibretec und, und, und. Von ganz kleinen Slalomdecks bis zu den großen Dancer Planken, von Marken- bis Handmade Decks, alles ist hier.
Der Mob bewegt sich über Berlins Straßen und es kommen immer mehr dazu. Die dreispurige Straße wird komplett eingenommen. Die Autos hupen, doch interessieren tut es hier keinen. An der Siegessäule sind wir schon gefühlt 120 Fahrer. 120 Longboarder, die den ganzen Winterfrust einfach weg-cruisen. Jede Überholungsaktion wird angesagt: Links! Rechts! Die Vibes sind hervorragend. Unzählige Kilometer sind wir schon gefahren, aber ans aufhören denkt hier keiner. Über den Potsdamer Platz Richtung Kreuzberg sind wir laut Fränkys Zählung 160 Fahrer. Ich muss es wiederholen. 160 Longboarder! Die Straße gehört uns, jeder noch so kleine Hügel wird gesurft, gecurvt, gedanced. Von hinten kann kein Auto kommen. Heute Abend nicht, denn es ist unser Abend. Wir, die es lieben auf dem Board zu stehen und einfach zu fahren. Das Ende ist noch nicht in Sicht. Auch nicht als plötzlich die Polizei auftaucht. „Wer ist hier Veranstalter, wer hat die Verantwortung?!" höre ich sie fragen. „Wieso Veranstalter, ich habe hier zufällig ein paar Longboarder getroffen" antwortet einer. Die Polizei lässt uns ziehen, aber nur wenn wir ihnen versprechen mit der Bahn weiter zufahren. Dafür sperren sie sogar die Straße am Kottbusser Tor für uns. Ein Polzeiauto steht an der Kreuzung schräg und sperrt den Gegenverkehr ab. Mit Blaulicht im Rücken surft der Mob die Straße runter. Ein großer Moment, den ich ganz smooth ausfahre.
Was jetzt geht macht schnell die Runde. Ab ins Velodrom. Doch nicht mit dem Board, sondern mit der Bahn. Nicht weil wir es den Bu**en versprochen haben, nein, wegen des Regens der uns überrascht. Endlich sitzen. Die 30 Kilometer die wir geboarded sind, merke ich. Kurz Pause machen in der Bahn tut mir gut. Ich bin kaputt, aber das legt sich als ich im Velo ankomme. Aalglatter Asphalt zum Dancen und hinten ist die Zufahrt zur Parkgarage optimal zum Sliden. Kaum angekommen bietet mir jemand schon ein Kindl an. Die Stimmung ist groß, keine Anzeichen von Müdigkeit. Weiter Boarden, alles was der Körper hergibt. Wir sind um die 60 Leute. Man redet über Tricks, tauscht sich aus oder raucht gemeinsam. Es fehlt nur noch die Live Band, die es Perfekt machen würde. Als ich auf die Uhr schaue, traue ich meinen Augen nicht. Halb Zwei, schon! Ich höre auf meinen Körper und entscheide jetzt mit Bastl und Leo Richtung Bett zu fahren.
Samstag
Gleich um die Ecke hole ich ein paar Brötchen. Leo fährt die harte Tour und hat schon wieder ein Kindl am Hals. Ich muss fahren. Bier gibt's für mich erst heute Abend. Ist nicht schlimm, Hauptsache der Regen hört auf. Das treffen am Teufelsberg wurde um zwei Stunden auf 12 Uhr verschoben. Eigentlich ganz gut, da kann ich noch etwas Erholung finden. So gegen 13 Uhr haben wir die Boards ins Auto geladen und die Strecke auf der Karte gecheckt. Trotzdem, wir verfahren uns. Unser kleiner Umweg führt uns direkt zum Olympiastadion. Ein beeindruckender Anblick. Allein die Allee die zum Haupteingang führt war den Umweg wert. Bestimmt zehn Flaggenmasten geleiten hier die Fußballbegeisterten in die Arena. Berlin spielt heute gegen Dortmund. Die Fans strömen von überall her, mit ihren Schaals bekennen sie ihre Solidarität. Blau-Weiß dominiert deutlich. Ich hoffe insgeheim das Berlin verliert und Hannover es schafft.
Den Teufelsberg finden wir anschließend schnell. Außerhalb der urbanen Zivilisation im Grünen. Er ist recht steil und der Asphalt kratzig. Dazu noch feucht vom gestrigen und frühen Regen. Naja, egal. Slide Handschuhe anziehen und einfach machen. Meine ersten Versuche gehen buchstäbliche in die Hose. Beim dritten Sturz und dem ersten Riss meiner Jeans entscheide ich es zu lassen. Ich carve den Teufelsberg lieber runter. Hier und da ein Standup Slide um Speed raus zunehmen um das Ding sauber auszufahren.
Leo hat seinen kleinen Ghettoblaster zu unseren Rucksäcken gelegt und beschallt den Platz mit einer Mischung aus Hip Hop, Elektro und Gitarre. Bastl hat sich nach seinem Sturz entschieden Freestyletricks zu performen. Er ist runter zum Parkplatz und puscht sich mit ein paar Wiener Jungs hoch. Hier ein Tiger Claw, da ein eingesprungener Nose Flip to Switch Landing. Chris und Ferdi haben inzwischen den Giant Slalom Parkour aufgebaut. Sie schlängeln sich um die Cons, als ob sie gar nicht da wären. Stark, diese Skills. Ich beobachte es mit Faszination. So viel Technik gepaart mit Eleganz. Eigentlich fehlen nur etwa 10 Grad mehr Wärme und ein Grill. Apropos, ein kleiner Hunger kommt auf, aber alles kein Problem. Waldi hat schon angerufen und gefragt ob wir Bock haben auf Chilli-Knoblauch-Nudeln in Öl gebraten. Was für ne Frage! Zurück in Neu-Köln erwartet uns bereits eine Fünf Sterne Malzeit, die wir genüsslich verschlingen. Was für ein Tag, aber der Höhepunkt kommt ja noch. Fränky feiert heute die Eröffnung seines Ladens. Mit Live-Mucke, Freibier und einigen Überraschungen. Also, wieder zurück in den Bus, durch die halbe Stadt nach Wedding.
Da wir eine Gruppe von Genießern sind und uns auch gerne fest schnacken sind wir zu spät dran. Das Freibier ist leer und Fränky hat seinen Live-Auftritt leider schon absolviert. Fuck! Zum Glück hat der Kiosk nebenan die ganze Nacht geöffnet, zu schade wegen des Auftritts. Da ich aber den ganzen Tag nichts getrunken hatte und immer der Fahrer war, ist es Zeit für mein Lieblingsgetränk: Jägermeister. Ich shoppe ein paar Kindl (die übrigens ganz lecker sind) und eine kleine grüne Flasche Kräuterschnaps. Die wird kräftig rumgereicht, sodass ich mir schnell noch eine nach ordere. Wir sitzen draußen vor dem Laden auf Holzbänken. Wir reden über Gott und die Welt und schnell wird klar: Gott fährt Longboard. Irgendwann höre ich wie sie losgeht: Die Verlosungsaktion. Wir alle hatten am Freitag ein Bändchen von Fränky bekommen. Jedes hat eine fortlaufende Nummer und die Nummer die aufgerufen wird gewinnt. Ein Arbor Snowboard, ein Dervish Longboard gesponsert von MDCN Hamburg, ein Madrid Longboard von Concrete Wave, eine Slack Line von Gibon und Klamotten von Boneless München werden den glücklichen Gewinnern überreicht.
Fränkys Laden hat alles was einen guten Laden ausmacht. Diverse Boards, die an den Wänden hängen, ein Glastressen mit Rollen, Bushings und Achsen. Ganz besonders gefällt mir die Werkbank die mitten im Laden steht. Hier muss man nichts kaufen, hier fühlt man sich einfach wohl. Würde ich in Berlin wohnen wäre das wohl mein Head Quater. Ich bin gut drauf, die Party erreicht ihren Höhepunkt. Der Jägermeister steigt mir in den Kopf: Teufelszeug! Plötzlich sind sie wieder da. Die Polizei. Mit einem Sixpack stehen sie am Straßerand vor dem Laden: „Was ist hier los, wer ist hier Verantwortlicher, wer ist der Veranstalter"? Nach einem kurzen Schnack mit Fränky sind sie so schnell weg wie sie gekommen sind. Ich habe immer noch - oder schon wieder - ein Bier in der Hand. Ich höre mich selbst leiern, irgendwas mit Longboard fahren ist das größte. Die meisten sind noch zum Velo gefahren um dort noch eine Night Session zu reißen. Ohne mich, ich kann ja kaum noch stehen. Fränky war so nett mir und Leo einen Schlafplatz anzubieten. Von Bastl, Waldi und seiner Freundin Anna habe ich mich schon vor Stunden verabschiedet. Jetzt wird es aber für mich Zeit Tschüss zu sagen. Tschüss zu diesem großartigen Samstag, Tschüß zu allen netten Leuten die ich heute kennen gelernt habe. Kaum liege ich in Fränkys Wohnzimmer, auf meiner Matratze, die ich noch schnell aus dem Bus geholt habe, bin ich auch schon im Traumland.
Sonntag.
Ich wache auf. Um mich herum lauter Leute die ich nicht kenne. Außer Leo, der auf dem Sofa schlummert. Mein erster Blick geht nach draußen. Scheiße, es regnet. Nach und nach wachen alle auf. Schnell merke ich, mein Kater fällt hier nicht groß auf. Wir gehen alle zusammen bei Fränky um die Ecke ins Dazwischen. Ich bestelle das Super Frühstück. Das mit Käse und Wurst ein wenig Marmelade und zwei Brötchen. Ein Latte Macchiato und ein großer O-Saft. Langsam kommt die Realität wieder. Alles wird gut, besonders weil der Regen aufgehört hat und die Straße schon wieder fast trocken ist. Gestärkt geht's zum Abschluss-City-Cruise. Am Hauptbahnhof treffen wir die anderen Fahrer. Circa 30 Longboarder, die hier nochmal zusammengekommen sind um das Wochenende abzuschließen. Ich drehe einige Runden auf dem Vorplatz, oh Mann, meine Beine fühlen sich an wie aus Gummi. Die letzten Tage machen sich bemerkbar. Was soll´s, ich ziehe durch.
Warten auf Nachzügler
Der Mob setzt sich in Bewegung. Langsam aber sicher kommen wir in Schwung. Doch der erste Rückschlag lässt nicht lange auf sich warten. Gloria hat´s erwischt. Ihre Jeans ist hinten gerissen und da kommt einiges an Blut durch. Das sieht Böse aus. Sie bricht ab, verständlich. Wir fahren weiter. Ich habe keine Ahnung wo wir sind - im Grunde ist mir das auch egal. Hauptsache es rollt. Es ist angenehm, denn das Tempo ist chillig, entspanntes fahren ist angesagt. Trotzdem, die Kraft ist raus, nicht nur bei mir. Ein paar Jungs kriegen aber nie genug und batteln sich einen Hügel hoch. Nee, heute nicht. Ich steige bergauf zwar nicht vom Brett, aber ein Rennen ist jetzt nicht drin. Zum Glück geht's auf der anderen Seite wieder runter. Schöne Curves ziehen, hier und da ein Cross Step. Schön. Im Volkspark Friedrichshain angekommen beendet der Regen unseren City Cruise. Perfekt. Das hat genau gereicht. Die Gefühlten 15 Kilometer waren nicht zu lang und nicht zu kurz. Ich verabschiede mich von den Meisten bevor wir mit der Bahn zurück nach Wedding fahren. Es folgt die nächste Verabschiedung, Fränky und ich umarmen uns: Top Wochenende! Doch so leicht wird Berlin uns nicht los, denn mein Bus will nicht starten. Scheiße, nein, nicht das noch. Heute Morgen beim schwarzfahren erwischt und jetzt startet der Bus nicht. Zum Glück gibt's die gelben Engel. Der ADAC Mann ist unser Retter in der Not. Wir schaffen es bis nach Hannover. Ich setzte Leo zuhause ab, suche mir vor meiner Tür ein Parkplatz und falle zuhause auf mein Sofa. Beine hoch, Fernseher an und eine rauchen...
Longboardz.de Geburtstag werd ich so schnell nicht vergessen
Damien
PS: Vielen Dank an Ole Kröger für das Video
Longboardz 4th anniversary, Berlin from Ole Kröger on Vimeo.