Die ca. 400km lange Anreise nach
Chamonix stellte schon zu Beginn einige Herausforderungen an uns
(Merke, liebes Tagebuch, fahre nie über Zürich und stehe
nicht im Stau…), nachdem wir erst relativ spät am Pass nach
Frankreich angekommen sind. Liebes Tagebuch, habe ich erwähnt,
dass es die ganze Fahrt über nur geregnet hat? Das kam uns bei
einer Außentemperatur von mehr als zehn Grad nicht weiter
verwunderlich vor, jedoch sollte man bedenken, dass mit zunehmender
Höhe an einer Passstraße es durchaus auch vermehrt
schneien kann.
Anstelle von Schneeketten hatten wir es vorgezogen lieber eine (nie verwendete) Kabeltrommel mitzunehmen. Ausgestattet mit den Rallye erprobten Genen meines Vaters, war es dann doch irgendwie möglich sich den Berg hochzuspulen, trotz eines im hinteren Teil überladenen, frontgetriebenen Fahrzeuges. Andere Kollegen hatten da weniger Glück. Nach der, für mein Leben gesprochen, abenteuerlichsten Durchquerung eines Tunnels (wir sind uns bis heute nicht sicher, liebes Tagebuch, ob das neben den Schienen im Tunnel, eine Straße oder ein Fußgängerweg war…), kam uns das verschneite, französische Wegschild mit der Aufschrift „Chamonix“ gerade recht. Angesichts des offensichtlich extrem heftigen Schneefalls hatten wir bereits das „Big smile“ aufgelegt, welches sich, je weiter wir den Pass wieder hinunter gefahren sind, ebenso rasch ins Gegenteil umschlug, wie sich der Schnee mit jedem verlorenen Höhenmeter in strömenden Regen verwandelte. Für die Nacht war zum ersten Mal Autoschlafen angesagt.
Es macht einfach wahnsinnig Spaß bei strömendem Regen alle Sachen auf die vorderen Sitzplätze zu quetschen und gleichzeitig eine provisorische Konstruktion für die Boards im Auto zu basteln. Die nächtliche Flasche Wein war zum einen Garant für festen Schlaf, zum anderen Versicherung, dass wir von diesem Stellplatz unter keinen Umständen selbst wegfahren konnten. Außentemperatur: Kuschelige elf Grad. Gute Nacht, liebes Tagebuch.
Augen auf, guten Morgen, erster Eindruck - es regnet, jedoch nicht außen, sondern im Auto, wir haben mehr oder weniger in einer Tropfsteinhöhle übernachtet. Beim verlassen der mobilen Herberge grinst uns erhaben der Mont Blanc an - alles klar, wir sind am Ziel!
Für die nächsten Tage benötigen wir vorerst eine Unterkunft, welche wir gemäß unseren Low-Budget Ansprüchen auch mit Hilfe des Tourismusbüros finden: Die „Ski Station“ (direkt am Lift, 12 Euro/Nacht) wird also für die nächsten Tage unser Zuhause sein. In diesem Hostel gibt es alles nötige, nur eben keinen Luxus, aber wer braucht den schon, wenn einem bei jedem Schritt vor die Tür der höchste Berg der Alpen entgegenlacht. Es ist mittlerweile Freitag und die Wettersituation hat sich leider deutlich verschlechtert - surprise, surprise - es regnet, und wir entscheiden uns nicht zu fahren, nachdem uns nur Skifahrer begegnen, die aussehen, als hätten sie gerade eine Kreuzfahrt mit der Titanic unternommen - völlig durchnässt. Neugierigerweise erkundigen wir uns nach dem Wetter der letzten Woche, und - surprise, surprise - es hat nur geregnet. Etwas desillusioniert recherchieren wir unser eigentliches Ziel in Chamonix: Der „Aiguille du Midi“, die zweithöchste Bergstation der Alpen mit 3842m Seehöhe:
Hier geht´s hoch…
20 Kilometer Freeride Abfahrt Skiroute Vallée Blanche - inmitten des Gletschers, daher als Nicht-Local nur mit Guide machbar. Allerdings die enttäuschende Nachricht gleich vor Ort im Office: „Vallée Blanche - not for Snowboarders, sorry!“. Das war natürlich ein Schlag - entschuldige diese Ausdrucksweise liebes Tagebuch - mitten in die Fresse! Wir haben uns trotzdem den Guide gemietet, für ein anderes Gebiet. Aber es sollte sowieso alles ganz anders kommen…Der Freitag ging daher leger zu Ende: Chamonix bei Nacht erkunden, müde ins Hostel zurückkommen, unsere zwischenzeitlich geklauten Schlafsäcke suchen und die für diesen „Scherz“ verantwortliche Schwedin zurechtweisen. Am Samstag waren alle Anlagen gesperrt, weil es über 2000m nur geschneit hat, on Top sogar bis zu zwei Meter. Der Tag war gekennzeichnet von Lawinensprengungen im fünfminütigen Abstand. Für Sonntag allerdings war Bombenwetter angekündigt. Also noch ein unfreiwillig freier Tag. Dafür konnten wir nun ohne weiteres an den Kniffel-Weltmeisterschaften teilnehmen: Unsere Preise waren: Nicht Kochen müssen, Nicht Auto umräumen müssen, zuschauen wie der Verlierer sämtliches Gepäck schleppt, etc…
Sonntag, sieben Uhr und die Wettervorhersage hatte nicht zuviel versprochen - blauer Himmel, Sonnenschein. Und es sollte der abgefahrenste und verrückteste Tag werden: Rendez-vous mit dem Guide 9:00 CET.
Aiguille du Midi
Zu unserer illustren Gruppe kamen hinzu Scott, Tim und Ed (alle gehobenes Alter und Einkommen…) aus Lake Tahoe/USA, plus ein weiterer (Bilderbuch-)Amerikaner sowie Pekka aus Talma/Finnland. Warum ich dir das so genau erzähle, liebes Tagebuch? Nun, im Laufe des Tages hat sich unsere Gruppe doch stark dezimiert: Schlau wie wir sind, liebes Tagebuch, haben wir uns die Lifttickets besorgt, bevor wir uns mit dem Guide getroffen haben. Nachdem wir, first of all, eine geschlagene Stunde auf unseren Kumpel Scott wegen seines Liftpasses warten mussten, und uns fast der Kragen geplatzt ist, konnten wir endlich auf den Berg.
Gregor und ich waren die einzigen beiden Snowboarder in der Gruppe, der Rest Skifahrer. Blöderweise waren alle schwierigeren Abfahrten und Routen gesperrt - Lawinengefahr. Ist ja auch vollkommen okay, safety first. Zu Gregors und meiner Freude, beschloss der Guide nun doch auf den „Aiguille du Midi“ zu fahren und uns mitzunehmen. Jubel! Jetzt bekommen wir doch noch das was wir wollten, saugeil, Rock & Roll Jungs, jetzt geht´s los!! Wir mussten mit dem Auto kurz shuttlen um zur besagten Seilbahn zu kommen, daher war Treffpunkt Talstation. Die entsprechende Talabfahrt war komplett vereist und vielleicht für Katarina Witt spaßig, für uns nicht. Circa 100m vor Ende der Abfahrt sehe ich etwas am Boden liegen und bei näherer Betrachtung erkenne ich, dass es Tim aus unserer Gruppe ist, der - Shock - regungslos in einer familienpizzagroßen Blutlache liegt. Greg war schon bei ihm, so dass ich die Piste sperren konnte. Nach fünf Minuten war er wieder bei Bewusstsein und konnte die restlichen Meter von der Piste weg laufen. Allerdings sah er dabei nicht wirklich gut aus, die Schulter hing verdächtig weit unten und im Gesicht hatte er mehrere heftige Cuts. Auslöser für diesen Crash war ein relativ großer Schneehaufen, mitten in der Piste, der im Schatten lag und somit bei höherer Geschwindigkeit überhaupt nicht zu sehen war. Nach provisorischer, medizinischer Erstversorgung waren wir schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Zuvor musste das eingeparkte Auto des Guides „freigefahren“ werden…liebes Tagebuch, du weißt was das bei den Franzosen heißt. Zu unserem Erstaunen haben wir nicht vor, sondern direkt in der Notaufnahme geparkt, um den verletzten Kollegen auszuladen.
Der gleichzeitig landende Rettungshubschrauber veranlasste unseren Guide zu enormer Hektik, standen wir doch mit dem Auto, unpassierbar für die herbeieilenden Ärzte, zwischen Landeplatz und Eingang der Notaufnahme. Hektik, Rückwärtsgang und Vollgas kombinieren sich zu einem Rammen des Bordsteins, welcher die Karre erstmal einen halben Meter aufbockt…kann so ein Tag noch besser werden? Ja, er kann: Es ist mittlerweile zwölf Uhr, und die nächsten vier Stunden sollten alles bisher da gewesene in den Schatten stellen. Vor der Seilbahnfahrt zum „Aiguille du Midi“ fragte der Guide den fahrtechnisch etwas unsicher wirkenden Amerikaner, ob er sich das zutraue? Seine Antwort enthielt Worte wie „strong skier“ und „he´s an expert“. Okay, oben angekommen überwältigt das Panorama an diesem Tag.
Zeit um es zu genießen haben wir allerdings nicht, der Guide drängt auf schnellen Abstieg zum Einstieg in die Gletscherabfahrt. Bereits hier zeigen sich erste Schwächen unseres, nennen wir ihn im Folgenden mal „Expert“, der selbst beim Laufen Probleme hatte seine Ski zusammenzuhalten. Der Schnee war weit über 3000m zwar etwas zerfahren, aber dennoch sehr gut, so dass wir alle mit gehöriger Vorfreude von der Plattform aus in das nahezu 20km lange Abenteuer durch den Gletscher starten konnten.
Alle? Nun, fast alle - es stellte sich sehr schnell heraus, dass unser „Expert“ im Tiefschnee nahezu keinen einzigen Schwung fahren konnte! Ein zurück gab es zu diesem Zeitpunkt jedoch schon nicht mehr. Der restliche Weg war für ihn geprägt von hinfallen, aufstehen, anschnallen, hinfallen usw. Nach geschätzten 100 Stürzen teilte uns der Guide - welcher übrigens an diesem Punkt bereits nahe einem Nervenzusammenbruch war - mit, dass wir soeben die Hälfte (!) der Strecke absolviert hätten.
Die Zeit drängte also enorm, wollten wir den letzten Zug ins Tal noch erreichen. Die weitere Abfahrt stand im Zeichen von sämtlichen französischen Schimpfwörtern die wir kannten und bis dahin noch nicht kannten. Unser „Expert“, mittlerweile von allen physischen und psychischen Kräften verlassen, steuerte Out of Control an Abhängen vorbei und auf Gletscherspalten zu - einige Meter mehr und es hätte für ihn ab in die Steinzeit geheißen. An diesem Punkt wurde aus Spaß definitiv Ernst. Durch die dementsprechend langen Wartezeiten, hatten wir zumindest die Möglichkeit, uns das irre Panorama und die faszinierende, monströse Umgebung anzusehen. Liebes Tagebuch, ich glaube wir haben uns noch nie so klein gefühlt, inmitten von diesen gigantischen Eis- und Felsgebilden.
Nach drei Stunden (die normale Zeit liegt bei ungefähr 45 Minuten) hatten es alle letztendlich zur Bahn geschafft, welche uns direkt ins Zentrum von Chamonix zurückgebracht hat. Alles in allem ein ereignisreicher Tag, welchen wir so schnell nicht vergessen werden - ebenso wenig wie unser „Expert“, der die letzten Treppenstufen - back to the roots - auf allen Vieren bewältige. Den nächsten Tag wollten wir Wetterabhängig gestalten, und nachdem die Sicht und die Temperaturen wieder sehr schlecht geworden sind, haben wir uns entschlossen abzureisen.
Wer keine Lust auf langweiliges
Autobahnfahren hat, der nimmt die Route über den Furkapass,
stets begleitet von einem herrlichen Bergpanorama. Inmitten der
Schweiz erreichte die Außentemperatur tatsächlich fast 20
Grad, wir waren also gespannt, was uns schneetechnisch weiterhin
erwarten würde.
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