Review: SM-Camp Risoul oder das Camp
ohne Park...
Als ich das erste mal vom SM-Camp hörte war ich ein wenig irritiert, steht „SM“ doch für diverse sexuelle Vorlieben, die meinen eigenen eher weniger entsprechen. Trotzdem machte ich mich kurz nach Weihnachten auf, um zu ergründen was es nun mit diesem ominösen Snowboardcamp wirklich auf sich hatte.
So befand ich mach also an einem schönen Dezembernachmittag auf dem Weg von Freiburg nach Karlsruhe, wo ich in den 5* Reisebus, den der holländische Reiseveranstalter „Sportura“ für uns gechartert hatte, einstieg und mich langsam aber sicher in Richtung Berge bewegte. Als die erste Raucherpause anstand, war ich bereits leicht verärgert. Warum? Nun, obwohl meine Begleitperson und ich die Reise ab Freiburg gebucht hatten, sollten wir laut Sportura in Karlsruhe zusteigen, weil zu wenig Reisende den Bustransfer ab Freiburg gebucht hatten. Die erste Pause verbrachten wir dann am Rasthof Mahlberg, nur wenige Kilometer von Freiburg entfernt. Auch am Zoll in Basel, wo ein Zustieg theoretisch möglich gewesen wäre, hielt der Bus für einige Minuten. Beide Stopps lagen deutlich näher an Freiburg als Karlsruhe. Nun gut, so kann es gehen...
Der Reisebus war genau so voll, wie die meisten seiner Insassen, somit konnte von einer ruhigen Nachtanreise keine Rede sein. Naja, ich wollte ja auch nicht auf eine Kaffeefahrt, sondern auf ein Snowboardcamp.
Am nächsten morgen kamen wir dann glücklich und mehr oder weniger ausgeschlafen in Risoul an. Da die Appartements erst am Nachmittag bezogen werden konnten, wurde uns gegen eine kleine Gebühr ein Gepäckdepot zur Verfügung gestellt. Nachdem wir Sack und Pack untergebracht hatten, nutzten wir den Nachmittag, um das Skigebiet zu erkunden. Risoul machte seinem Ruf - eines der sonnigsten Skigebiete der Alpen zu sein - alle Ehre, es war keine einzige Wolke am Himmel. Der Ort befindet sich auf über 1800m Höhe und bietet Zugang zu einem Skigebiet, das gemeinsam mit dem Skiort Vars über mehr als 180 km Piste verfügt. Leider hatte es in den Wochen vor unserer Ankunft sehr wenig geschneit, weshalb sich auf den meisten Abfahrten der ein oder andere Stein unter den Schnee mischen konnte. Sowohl von den modernen Beschneiungsanlagen, als auch von dem auf der Homepage des Liftbetreibers als „geöffnet“ angepriesene Park war weit und breit nichts zu sehen. Allerdings kann man in Risoul auch ohne Park eine Menge Spaß haben. Im ganzen Skigebiet befanden sich an jeder Ecke natürliche Banks, Walls, Pistenkanten usw., die sich mit ein wenig Fleiß und Kreativität in wirklich lustige Obstacles verwandeln ließen.
„Wie gesagt, es hatte nicht sehr viel geschneit...“
Am Abend war es dann Zeit die Appartements zu beziehen. Mir war zwar schon im Vorfeld klar, dass der gemeine Franzose im Schnitt ein paar Zentimeter kleiner ist als der Durchschnittsdeutsche. Diese Appartements haben allerdings alles getoppt, was ich bis jetzt gesehen habe. Sechs Personen plus Gepäck für neun Tage plus Snowboardausrüstung auf geschätzten 25 Quadratmetern effektiver Wohnfläche. Das war wirklich eng.
Anschließend fanden sich dann alle in der Bar „La Grotte du Yeti“ ein, um einen Willkommensdrink einzunehmen und sich näher kennen zu lernen.
„Es war das Bonbon aus Wurst, dass ihn glücklich macht... Julian beim BBQ.“
Am nächsten Morgen ging es zeitig raus auf die Piste. Immerhin war es unser erster kompletter Snowboardtag in Risoul. Sowohl das Wetter, als auch die Schneelage waren nach wie vor unverändert. Am späten Nachmittag öffnete dann der Teststand seine Pforten. Hier konnten sich alle Camper täglich für die restliche Dauer unseres Aufenthalts kostenlos mit diversen Produkten namhafter Hersteller eindecken. Zwar war der Andrang enorm, aber es war zum Glück genug für alle da.
Und dann war es auch schon soweit: es war Silvester. Dies war dank einiger stark pyromanisch veranlagter Italiener, deren Appartement sich ein Stockwerk unter unserem befand, schon am frühen Morgen deutlich hörbar. So machten wir uns mit dem Klang geschätzer zweihundertdreiundachzig D-Böller in den Ohren auf in Richtung Talstation. Der Plan für diesen Tag war gleich am Morgen hinauf zur Bergstation zu fahren und von dort aus auf der anderen Seite des Berges nach Vars abzufahren um die andere Hälfte des Skigebietes kennen zu lernen. Wie sich schnell herausstellte eine gute Entscheidung. In Vars war deutlich weniger los, außerdem bestanden die Pisten dort zu ungefähr 99,9% aus Schnee, sprich der Steinanteil war verschwindend gering. Bei einem Trip nach Vars muss man auf jedem Fall den etwa eineinhalbstündigen Rückweg nach Risoul einkalkulieren. Wer sich zu spät auf den Heimweg macht, steht unter Umständen vor geschlossenen Liftanlagen und kann beginnen, sich Gedanken darüber zu machen, wie er das Geld für das Taxi zurück nach Risoul auftreibt. Zum Glück sind wir früh genug aufgebrochen und hatten so vor der Silvesterparty in der Grotte du Yeti noch genügend Zeit für ein gediegenes Käsefondue mit unseren Mitbewohnern in der intimen Atmosphäre unseres Appartements.
Mit viel Käse und einer immensen
Menge an Caipiroska, den einer unserer netten Mitbewohner für
uns in einer Salatschüssel zubereitet hatte, machten wir uns
dann auf zur Silvesterparty. Auf dem Flur begegneten wir noch einem
Rudel auf/mit Küchenutensilien trommelnden Mitcampern, die sich
wohl auf ihre ganz eigene Weise auf diese besondere Nacht
vorbereiteten...
In der Bar angekommen bot sich uns ein erfreuliches Bild. Enno, der eigens für das Camp mit angereiste DJ, hatte den Leuten schon mächtig eingeheizt. Julian, seines Zeichens Camp-Organisator und Mädchen für alles, begrüßte uns mit einem mir unbekannten Gebräu aus einem Tetra-Pack. Die Luft war schlecht, die Stimmung gut – so gehört sich das! Neben den 110 Teilnehmern des SM-Camps befanden sich noch mehrere große holländische Reisegruppen, die fleißig mitfeierten. Gegen halb zwölf fand sich dann auch ein holländischer DJ ein, der, so war es mit dem Barbetreiber abgesprochen, die holländischen Gäste für eine halbe Stunde mit Aprés Ski zielgruppenorientierter Musik versorgen sollte. Aus der vereinbarten halben Stunde Stunde machte der Barbetreiber aufgrund des immens größeren Umsatzvolumens der holländischen Gäste prompt den ganzen Rest des Abends. Schade, denn der durchschnitts-Snowboardcamper ist mit holländischer Aprés-Ski-Musik nicht sonderlich zu begeistern. Traurig, dass man inzwischen auch in den Bergen wirtschaftliche Interessen über im Vorfeld getroffene Vereinbarungen stellt.
„Kannst du mal was von Scooter spielen?“ - DJ Enno und die Partymaus.
Das neue Jahr ließen die meisten Camper dementsprechend gemütlich angehen. Vor Anbruch des Mittags war kaum ein mitreisender auf den eisigen Pisten anzutreffen. Wenigstens war inzwischen klar, wo sich der ominöse Funpark befindet: Es handelte sich um zwei Boxen direkt an der Talstation. Diese waren leider über unseren gesamten Aufenthalt ganztägig gesperrt, obwohl die beiden Obstacles auch von einem ungeübten Shaper in wenigen Minuten in einen fahrbaren Zustand versetzt hätten werden können. Somit kamen sowohl der Freestyle- als auch der Freerideaspekt auf diesem Camp ein wenig zu kurz. Party machen war dann irgendwie auch nur bedingt möglich. Es dauerte an den folgenden abenden immer eine Weile, bis man sich die Partymusik der Gäste aus dem Land der blonden Frauen und bunten Blumen schöngetrunken hatte.
„Diese Tafel hing am Morgen nach der Silvester-Party in der Bar. Scheint so als seien wir bei unseren holländischen Kollegen nicht so gut angekommen.“
Für viele der Camper war die Woche zu diesem Zeitpunkt eh schon gelaufen, da sich zu allem Unheil in mehreren der Appartementblocks verschiedenste Grippeviren aus ganz Europa breit machten und ein großer Teil der angereisten Snowboarder den Rest des Aufenthalts mehr oder weniger freiwillig im Bett verbrachte. Wer gesund blieb, hatte Glück, denn in den letzten Tagen zeigte sich Frau Holle ein wenig großzügiger und bescherte den übrig gebliebenen aus unseren Reihen ein wenig Neuschnee, der natürlich sofort an alle Ecken und Enden des Skigebiets durchpflügt wurde.
„Kein Park in der Nähe? Egal, es gibt ja noch Legebatterien mit Vordächern in verschiedenen Höhen. Julian, Bombdrop.“
Im großen und ganzen kann man sagen, dass wir trotz diverser Komplikationen eine gute Zeit in Risoul verbracht haben. Mir ist einfach mal wieder klar geworden, dass es doch völlig egal ist, wie gut der Schnee ist, ob der Park steht oder mit welchen und vor allem wie vielen Menschen man auf wie engem Raum zusammenlebt. Denn mit einem Snowboard im Gepäck, guter Laune im Bauch, etwas Optimismus und Kreativität im Kopf und einer hauchdünnen Schneeschicht auf dem Boden kann eigentlich aus jedem Trip ein guter Trip werden. Da war zum Beispiel Julian, der – aus Ermangelung guter Sprünge im Skigebiet – anfing die Vordächer im Ort zu droppen. Oder die Jib-Crew, die sich von den geschlossenen Boxen nicht lumpen ließ und die gesamte Woche das Skigebiet in Grund und Boden butterte und bonkte. Oder die sechs „Einzelbuchungen“, die sich plötzlich ein winziges Appartement teilen sollten, obwohl sie sich vorher noch nie gesehen hatten, und in dieser Woche trotzdem einfach nur eine gute Zeit hatten – gemeinsam versteht sich. Frei nach der berühmten Orangenlimonade: „Spaß ist, was ihr draus macht.“