Snowboarding in Russia: Krasnaya Polyana

  • Boardmag
  • 21.07.2005

Bericht von Gianni Varnaccia
Bilder von Gianni Varnaccia und Bernd Copony


Nach einigen Wochen ausgiebiger Planung und Organisation standen wir nun am Aeroflot Check-In Schalter am Münchner Flughafen. Unsere Boardbags aufgegeben, machten wir uns auf den Weg zum Flugzeug das uns nach Moskau bringen sollte. Alle Zweifel die sich in der letzten Zeit in unseren Gedanken abspielten waren inzwischen abgelegt. Zu viele Vorurteile, die eine Menge Probleme vorhersagten, sind uns zu Ohren gekommen. Doch wir waren uns einig, dass wir den Wahrheitsgehalt dieser zumeist bizarren Geschichten nur durch eigene Erfahrung feststellen würden können.


Welcome to Russia.

Unser Ziel war das Snowboardpotential Russlands zu erfahren und einen Einblick in diese für uns so fremde Kultur zu gewinnen. Unser Weg führte uns dabei in einem Dreistundenflug von Moskau nach Sotschi am Schwarzen Meer. Etwa 50km im Landesinneren liegt dort eines der besten Freeride Resorts Russlands – Krasnaya Polyana. Doch was wir beim Ausstieg aus dem Flugzeug sahen entsprach nicht gerade unseren Vorstellungen. Das Meer schimmerte im Schein der Sonne und die Landschaft zeichnete ein frühlingshaft, geradezu mediterranes Bild. Auch die Temperatur lud eher zum Surfen ein als zum Snowboarden.


Da runter.

Noch vom Flugzeug aus hatten wir die schneebedeckte Gebirgskette des Kaukasus gesehen, doch jetzt war weit und breit nichts Winterliches in Sicht. Nach einiger Orientierungslosigkeit hatten wir im Gewirr aufdringlicher Taxibesitzer endlich unseren Fahrer gefunden. In seinem klapprigen Geländewagen fuhr er uns auf einer recht waghalsig gebauten Strasse hinauf ins Bergdorf Krasnaya Polyana. Die anfangs grünen Hänge waren nun von einer grauen Sulzschneeschicht bedeckt. Auch auf den Strassen hatte sich der alte Schnee gehalten, was unser vorankommen nicht gerade erleichterte.


Nützliches Gefährt in Russland.

Endlich am Ziel angekommen, wurden wir von unserer Wirtsfamilie herzlich mit einem üppigen Abendessen im russischen Stil empfangen. Wir redeten bis in die Nacht hinein miteinander, verstanden aber kein Wort. Am nächsten Morgen wurden wir von einem Fahrer abgeholt der uns zum ca. 10km entfernten Lift brachte. Dort erwartete uns ein etwas in die Jahre gekommener 2er Sessellift. Inzwischen sah es schon ein bisschen nach Winter aus, aber die erwarteten Schneemassen die laut Wetterkarte den November und Dezember gefallen sein sollten, waren nirgendwo zu entdecken.



Retro-Tech.

Dem 2er Sessellift folgten drei weitere die einen in einem brutalem Schneckentempo zum Gipfel brachten. Die ersten drei Lifte verliefen durch recht flaches und unspektakuläres Gelände, doch der vierte Lift brachte unseren Atem zum Stocken. Schlagartig stieg die Schneehöhe enorm an und der Blick auf eine riesige Bergflanke wurde frei.


...

Der Lift führte uns über einen Grad dessen Schneemassen in der Sonne funkelten wie Diamanten. Jedem von uns stachen auf Anhieb zahlreiche Lines ins Auge die von der Bergstation aus leicht zu erreichen waren. Überall erspähten wir Wechten, Rinnen und Drops die nur darauf warteten endlich befahren zu werden. Es war einfach unglaublich was sich da vor uns abspielte. Ganze drei Lifte lang war rein gar nichts von dem zu erkennen was sich nun vor uns offenbarte. Oben angekommen wussten wir gar nicht wo wir unsere Bretter als erstes runterjagen sollten.


Feiner Spray vor einsamen Tal.

Jeder plädierte für seine Wunschlines, und bis wir uns geeinigt hatten verging einige Zeit. Wir entschieden uns für eine breite Rinne direkt neben der Bergstation die in einem weiten, von der Sonne beschienenen Schneefeld auslief. So etwas wie diese Abfahrt hatten wir noch nie erlebt. Der Schnee war so verdammt leicht dass er uns bei jedem Turn in eine massive Schneewolke hüllte. Selbst bei voller Fahrt holten dich die Schneemassen augenblicklich ein.


Bernd taucht ein.

Der Schnee war so leicht dass du einfach keinen Widerstand gespürt hast. Unten angekommen wussten wir gar nicht was wir sagen sollten. Wir sprinteten einfach zum Lift und fuhren wieder hoch. Wir setzten eine First Line nach der anderen und fuhren den ganzen Tag nur diesen einen Lift. Erst am Abend konnten wir wieder klar denken.


Blauer Himmel... Powder... was will man mehr?

Die nächsten Tage machten wir nichts anderes als immer wieder diesen einen Lift zu fahren. Die Anzahl der möglichen Abfahrten war so groß dass wir ständig neue Runs entdeckten. Dazu beigetragen hat unter anderem ein russischer Snowboarder der uns mit Handzeichen andeutete ihm zu folgen. Er zeigte uns abgelegene Rinnen und Hänge die letztendlich stets zu unserem lieb gewonnenen Lift führten. So lernten wir schnell das gesamte Gebiet kennen und fanden, auch als der Andrang am Lift größer wurde, zu erstaunlich guten Runs.


Großer Berg und kleiner Gianni.

Das Wetter war hingegen nicht immer so gut wie am ersten Tag. In den zwei Wochen haben wir so gut wie alles erlebt. Mal regnete es bis zum vierten Lift, mal sahen wir vor lauter Nebel unsere eigene Hand nicht mehr vor Augen, und mal fuhren wir im T-Shirt und schwitzten trotzdem wie wahnsinnig. So richtig kalt wie wir es von Russland erwartet hatten wurde es jedoch nie. Ein Grund, warum wir uns bei der Reiseplanung genau für Krasnaya Polyana entschieden haben, war unter anderem dessen Bekanntheitsgrad in der Heli-Ski Szene.


Jetzt flieg schon.

Schon im Internet stießen wir auf zahlreiche Unternehmen die Heliflüge zu äußerst moderaten Preisen anboten. Doch vor Ort wurden wir in dieser Hinsicht leider gänzlich enttäuscht. Das Problem ist dass ein Heli erst startet wenn er voll besetzt ist, d.h. wenn genau 28 Leute drinsitzen. Da wir aber ungefähr die einzigen zwei waren die zu diesem Zeitpunkt auf unberührte Gipfel fliegen wollten, sah es eher schlecht aus. Zwischenzeitlich schöpften wir wieder Hoffnung, als unsere Wirte uns von Bekannten erzählten die mit „Sicherheit“ und sogar zu einem noch günstigeren Preis fliegen würden.


Gehört angeblich auch zu Russland: Vodka.

Doch ein kurzer Anruf genügte, um vom Piloten dasselbe zu erfahren wie von all den anderen. Anfangs war die Enttäuschung darüber natürlich ziemlich groß, schließlich schien uns der Berg den wir mit dem Lift erreichen konnten für zwei Wochen doch etwas eintönig. Aber irgendwie schaffte er es uns immer wieder aufs Neue zu überraschen, so dass es letztendlich nie langweilig wurde. Mehrmals schneite es über Nacht und alle gezogenen Spuren waren wieder mit einer satten Schicht trockenem russischem Powder überzogen.


Noch Fragen?

Zweimal packten wir die Schaufeln aus und bauten zum Erstaunen der russischen Skilehrer jeweils einen Kicker in die Landschaft. Gute Stellen dafür gab es genügend, doch um an die festeren Schneeschichten zu gelangen musste man schon sehr tief graben. Zu zweit war das natürlich recht erschöpfend. Nachdem der Aufmarsch durch den Tiefschnee nach jedem Sprung auch nicht gerade der einfachste war, beließen wir es bei den beiden Kickern.


Tunnelblick.

Unser Abflugtag rückte nun immer näher und wir begannen Bilanz über unseren Russlandtrip zu ziehen. Wir hatten massig phänomenale Snowboardtage in einem Skigebiet, das, so einfach strukturiert es auch ist, eine schier unendliche Vielfalt an Möglichkeiten bietet. Daneben gehörte der Schnee, den wir in diesen zwei Wochen unter unseren Brettern hatten, qualitativ wohl zu dem besten den es auf Erden gibt.


Hunde, Pferde, Schweine, Mülltonne.

Des Weiteren haben wir die russische Gastfreundschaft kennen und schätzen gelernt, und nebenbei auch noch das Vergnügen gehabt die russische Neujahrsfeier miterleben zu dürfen. Dazu gehörte, Silvester gleich fünfmal an einem Abend zu feiern – na dann mal Prost! Ja wir haben viel erlebt in diesen zwei Wochen nach Weihnachten, und dabei stets gutes. Alle negativen Vorurteile haben sich in unserem Fall als unwahr erwiesen, und wir waren froh diese Reise trotz aller Zweifel angetreten zu haben. Vor allem snowboardtechnisch war dieser Trip eine enorme Bereicherung. Jetzt wissen wir auf jeden Fall wo es uns hinziehen wird wenn sich die Sucht nach Powder wieder bemerkbar macht.


Unterwegs mit Bus und Taxi.


Ach ja... früh aufstehen lohnt sich weltweit.

 

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